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Von: Kira Taylor | EURACTIV.com | übersetzt von Martin Herrera Witzel und Stina Noelken
Die von Climeworks betriebene CO2-Abscheidungsanlage in einer Müllverbrennungsanlage in der Schweiz. [Walter Bieri / EPA]
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Die Europäische Kommission prüft den Aufbau einer Infrastruktur für den Transport und die dauerhafte unterirdische Speicherung von CO2 sowie das Recycling von Kohlenstoff in neue Produkte.
Mit dem im vergangenen Jahr verabschiedeten Europäischen Klimagesetz hat die EU das Ziel festgelegt, bis Mitte des Jahrhunderts Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Aber selbst wenn die Emissionen nahezu auf Null gesenkt werden können, wird es immer Restemissionen aus der Landwirtschaft oder industriellen Prozessen geben, die nicht vollständig reduziert werden können, so die Europäische Kommission.
Aus diesem Grund müssen alle bis 2050 in Europa verbleibenden Kohlenstoffemissionen durch den Abbau von Emissionen ausgeglichen werden, „mit dem Ziel, danach negative Emissionen zu erreichen“, so die EU-Exekutive in einem im Dezember veröffentlichten Strategiepapier über „Nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe“.
„Kohlenstoffentfernungen werden eine wachsende Rolle spielen müssen und zum Hauptschwerpunkt der Maßnahmen werden, wenn die Klimaneutralität erreicht ist und negative Emissionen zur Stabilisierung des weltweiten Temperaturanstiegs erforderlich sind“, so die EU-Exekutive.
Gegenwärtig beruhen die derzeitigen Kohlenstoffentfernungsmethoden im Wesentlichen auf natürlichen Ökosystemen – vor allem Ozeane und Wälder, die bei ihrem Wachstum ganz von selbst CO2 absorbieren.
Die Wälder werden jedoch selbst oft Opfer des Klimawandels, da Brände und Schädlingsbefall zunehmen, was das Risiko erhöht, dass die CO2-Entnahmen nicht von Dauer sind, und auch die Ozeane sind von etwaigen Temperaturerhöhungen und Übersäuerung bedroht.
Deshalb sagen Wissenschaftler, dass auch technische Lösungen erforderlich sein werden. Das Problem ist, dass die Technologien zur CO2-Entfernung bislang noch in den Kinderschuhen stecken.
„Es ist sehr, sehr, sehr begrenzt. Wir sind fast bei Null, aber wir müssen auf den Einsatz hinarbeiten und im Jahr 2050 brauchen wir einen groß angelegten Einsatz“, sagte ein EU-Kommissionsbeamter gegenüber EURACTIV.
Es gibt bereits einige Beispiele für technologische Lösungen. Letztes Jahr eröffnete in Island ein Schweizer Start-up-Unternehmen namens Climeworks AG die weltweit größte Anlage, die Kohlendioxid direkt aus der Luft absaugt. In Norwegen gibt es ein Pilotprojekt für ein groß angelegtes Projekt zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid in einem Müllheizkraftwerk.
Diese Projekte sind jedoch klein im Vergleich zu den Kapazitäten, die die Welt benötigen wird.
Die EU-Exekutive hat das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2030 mit technologiebasierten Lösungen 5 Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Das sind weit mehr als die 4.000 Tonnen CO2, die die Climeworks AG jedes Jahr abscheiden kann.
Verglichen mit dem verbindlichen Ziel von 310 Millionen Tonnen Kohlenstoff, das die Europäische Kommission bis 2030 durch naturbasierte Lösungen erreichen will, ist dies ein winziger Wert. Aber die EU-Exekutive sieht dies als ein Signal an den Markt, dass sie die technologiegestützte Kohlenstoffentfernung ausbauen möchte.
„Die Ziele selbst sind nur Ziele. Jetzt kommt es darauf an, wie wir diese Ziele umsetzen“, sagte Eve Tamme, eine leitende Beraterin bei der politischen Gruppe Climate Principles.
Europa stehe nun vor der Frage, wie man die Technologie zur Kohlenstoffabscheidung ausbauen und die richtigen Anreize und politischen Maßnahmen setzen könne, so Tamme gegenüber EURACTIV.
Um diese Ausweitung zu ermöglichen, muss die EU Regeln zur Quantifizierung der Kohlenstoffaentfernung einführen, sagt Tamme. Dies ist jedoch eine Herausforderung, denn während sich die politischen Entscheidungsträger seit langem mit der Verringerung von Emissionen befassen, hat man sich mit dem Kohlenstoffabbau viel weniger beschäftigt.
„Europa ist weltweit das erste Land, das versucht, eine Lösung zu finden. Und wenn sie es schaffen, wird dies hoffentlich ein Goldstandard werden, der breiter eingesetzt wird“, so Tamme gegenüber EURACTIV.
Neue Infrastruktur für den CO2-Transport
Eine Herausforderung bei der Ausweitung der technologiebasierten Kohlenstoffabscheidung besteht darin, die richtige Infrastruktur zu schaffen.
Während naturbasierte Lösungen nur sehr wenig zusätzliche Infrastruktur erfordern, muss das CO2 bei technischen Lösungen per Pipeline, Wasser, Schiene oder Straße vom Ort der Abscheidung zum Ort der Nutzung oder dauerhaften Speicherung transportiert werden.
Derzeit gibt es jedoch nur sehr wenige Infrastrukturen für den Transport von CO2 zu dauerhaften Ablagerungsstätten oder Recyclingverfahren.
„Wir müssen das Verkehrsnetz ausbauen“, sagte ein Kommissionsbeamter gegenüber EURACTIV.
„Die Herausforderungen des CO2-Transports ergeben sich nicht aus den vorgesehenen Transportmitteln. Die Herausforderungen für eine erfolgreiche Einführung sind wirtschaftlicher und regulatorischer Natur und werden oft als das Henne-Ei-Problem bezeichnet“, heißt es in einem Dokument der Kommission, das ihrer Mitteilung über nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe beigefügt ist.
Ein Gebiet, das dieses Henne-Ei-Problem lösen könnte, ist die Region um die Nordsee. In diesem Gebiet gibt es bereits mehrere Projekte zur Kohlenstoffaentfernung, darunter eines im Hafen von Antwerpen, bei dem der Kohlenstoff mit Hilfe des norwegischen „Northern Light“-Programms abgeschieden und unterirdisch gelagert werden soll.
Northern Lights, das ebenfalls in der Nordsee ansässig ist, will Kohlenstoff zu einer Speicheranlage transportieren und dann über Rohrleitungen in einem Reservoir 2.600 Meter unter dem Meeresboden dauerhaft speichern.
Weitere Projekte sind die Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung in einer Zementfabrik in Frankreich und ein Biomasse-Fernwärmesystem in Stockholm, das durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung negative Emissionen erreichen soll.
„Es handelt sich um ein sehr spezifisches europäisches Modell, das wir für die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung oder die Kohlenstoffabscheidung und -nutzung entwickeln – mit Abscheidungsanlagen, Anlagen, die das CO2 nutzen, und Anlagen, die das endgültige CO2 speichern“, sagte ein Kommissionsbeamter gegenüber EURACTIV.
„Um einen liquiden, gut funktionierenden Markt zu haben, brauchen wir eine ausreichende Anzahl von Marktteilnehmenden, sowohl für die Bereitstellung des CO2, die Abscheidung des CO2 als auch für den Transport des CO2“, fügte er hinzu.
Für einen solchen Markt müssen noch einige Vorkehrungen getroffen werden. So müssen die EU-Länder beispielsweise die Verlagerung von CO2 zwischen den Ländern zulassen. Die Speicheranlagen wiederum müssen diskriminierungsfrei sein, damit der Kohlenstoff aus verschiedenen Ländern kommen kann.
Investitionen aus EU-Fördertöpfen, wie zum Beispiel dem Innovationsfonds (Innovation Fund), tragen bereits zum Ausbau von Kohlenstoffentfernungsprojekten bei. Andere Mittel kommen aus dem privaten Sektor, wie der 1 Milliarde Dollar schwere „Climate Innovation Fund“ von Microsoft.
Laut Casper Klynge, Vizepräsident für European Government Affairs bei Microsoft, sind die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kohlenstoffentfernung immens und es steht noch viel Arbeit an, sowohl für naturbasierte als auch für technologiebasierte Lösungen.
„Technologiebasierte Lösungen stecken noch in den Kinderschuhen und müssen weiter ausgebaut werden“, sagte Klynge letzten Monat auf der Konferenz der Europäischen Kommission zum Thema Kohlenstoffentfernung.
„Kurz gesagt, es gibt heute kein wirklich bestehendes, skalierbares Ökosystem für den Kohlenstoffabbau und die Welt muss einen neuen Markt in einer noch nie dagewesenen Zeitspanne aufbauen. Und seien wir ehrlich, wir müssen fast bei Null anfangen“, fügte er hinzu.
Microsoft will bis 2030 kohlenstoffnegativ sein und bis 2050 alle Emissionen, die das Unternehmen seit seiner Gründung im Jahr 1975 in die Atmosphäre ausgestoßen hat, beseitigt haben. Um dies zu erreichen, hat das Unternehmen bereits 1,4 Millionen Tonnen Kohlenstoffabbau von 15 Lieferanten gekauft.
Mark Preston Aragonès warnte jedoch vor dem „Hype“ um den Kohlenstoffabbau und sagte, dass die Diskussion darüber in die falsche Richtung gehe, da Unternehmen sich eher danach richten, wie viele Emissionen sie ausgleichen können, statt wie sie reduziert werden können.
„Der Kauf einer Kompensation sollte nicht als ‚Seht her, ich bin klimaneutral, ich habe Kompensationen gekauft‘ angesehen werden. Es sollte als Schande angesehen werden, in dem Sinne: ‚Ich stoße immer noch Emissionen aus, also muss ich sie ausgleichen'“, sagte er gegenüber EURACTIV.
Anstatt sich an der Nachfrage zu orientieren, sollte sich die Diskussion an den möglichen Kapazitäten für den Kohlenstoffabbau orientieren und sich auf die unvermeidbaren Emissionen konzentrieren, fügte er hinzu.
„Wenn es um die Verringerung von Emissionen geht, ist die Rolle der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung für die Sektoren sehr wichtig, in denen es möglicherweise keine kurzfristig umsetzbaren Alternativen gibt und in denen der eigentliche Produktionsprozess, bei dem CO2 anfällt, nicht unbedingt durch die Verbrennung von Brennstoffen entsteht, wie zum Beispiel bei Zement und Stahl, wo die Verarbeitung ebenfalls zur globalen Erwärmung beiträgt“, erklärte er.
Er sprach sich auch dafür aus, den Schwerpunkt auf die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Dioxide Capture and Storage, kurz CCS) zu legen und nicht auf die direkte Abscheidung aus der Luft, da CCS den Kohlenstoff direkt aus den Schornsteinen umweltverschmutzender Fabriken entnimmt und nicht aus der Luft, wo der Kohlenstoff stark verdünnt ist.
„Die direkte Abscheidung aus der Luft ist etwas aufwändiger, da es viel schwieriger ist, das CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden als aus dem Rauchgas. Alles in allem sollten wir CCS zuerst einsetzen“, so Preston Aragonès.
Eine kreislauforientierte Wirtschaft für Kohlenstoff
Eine weitere potenzielle Einnahmequelle für die Kohlenstoffentfernung ist Schaffung einer Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft. Ein großer Teil des Alltags im 21. Jahrhundert hängt von Produkten und Stoffen ab, die aus Kohlenstoff hergestellt werden, von Kraftstoffen und Lebensmitteln bis hin zu Plastik und Kleidung. Diese können nicht dekarbonisiert werden, so dass die Hersteller Kohlenstoff aus nicht-fossilen Quellen beziehen müssen.
Dies könnte sich jedoch negativ auf die Landnutzung auswirken und weiter belasten. Aus diesem Grund erkundet die Europäische Kommission die Idee einer Kreislaufwirtschaft für Kohlenstoff, um eine nichtfossile Quelle für Kohlenstoffprodukte zu finden.
„Wir müssen Technologien einsetzen, die Kohlenstoff aus Abfällen, aus nachhaltiger Biomasse oder direkt aus der Atmosphäre recyceln, um die Industrie mit zirkulärem Kohlenstoff zu versorgen, denn Kohlenstoff wird für unsere Industrie weiterhin notwendig sein“, sagte der Chef des EU Green Deals, Frans Timmermans, letzten Monat.
Dies würde eine enorme Verlagerung weg von den derzeitigen Kohlenstoffquellen erfordern. Im Jahr 2018 verbrauchte die EU-Wirtschaft etwa eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff, von denen etwas mehr als die Hälfte aus fossilen Quellen stammte. Nur ein Bruchteil dieses Kohlenstoffs stammt aus recycelten Quellen.
Wenn wir es versäumen, diesen Wandel herbeizuführen, „fügen wir der Technosphäre einfach mehr fossilen Kohlenstoff hinzu und schaffen so eine gigantische Kohlenstoffdeponie, die nur darauf wartet, ausgestoßen zu werden, entweder durch biologischen Abbau, natürlichen Abbau oder durch Müllverbrennung“, warnte Florian Vernay, Head of Communications, Corporate Affairs and Sustainability bei Unilever.
Europa hat ein Abfallproblem. Im Jahr 2018 wurden in der EU über zwei Millionen Tonnen Müll behandelt, von denen knapp die Hälfte auf Deponien landet, wo sie klimaschädliche Methanemissionen freisetzen.
[Edited by Frédéric Simon]
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