Die surrealen, hyperrealistischen Bildwelten von Karin Kneffel kosten durchaus sechsstellige Beträge.
Erfindungsreich schafft Karin Kneffel Bildwelten, erneuert in ihnen die Realität. Ihre Werke sind auf dem Markt begehrt, erzielen sechsstellige Beträge. Derzeit ist in drei deutschen Museen Kneffels Kunst zu Gast. ntv.de hat die Künstlerin getroffen.
Karin Kneffel hat keine Angst vor großen Namen, nimmt es gerne mit Künstlerikonen auf. In ihren Bildern dreht sie Kunst von Marc Chagall einfach auf den Kopf. Sie hängt Werke wie die von Ernst Ludwig Kirchner aus Museen wieder in die Wohnzimmer, in denen sie einst hingen. Gerhard Richters berühmte Kerzenbilder interpretiert sie neu. Der war immerhin ihr Lehrer und dass sie mit 65 Jahren immer noch als Meisterschülerin von ihm gilt, kann sie nur mit einem lässigen Schulterzucken kommentieren.
Längst ist sie eine der erfolgreichen Frauen im System Kunst. Ihre virtuosen Malereien kosten schon mal sechsstellige Summen, sowohl in ihrer Berliner Galerie Friese als auch bei Gagosian, der Nummer eins in Sachen Kunsthandel. Erfüllt sie das mit Stolz? "Es macht mich glücklich, durch Ausstellungen wie diese hier in Kochel zu gehen, zu sehen, wie alles hängt und zueinander passt. Das ist etwas, was mir nachhaltig Freude macht. Klar, es ist schön, dass ich bei Gagosian gezeigt und verkauft werde. Aber wenn dem nicht so wäre, würde ich trotzdem meine Bilder malen, wie ich sie male." Sie erzählt, dass ihr Erfolg langsam und kontinuierlich gewachsen sei. Sie erinnert sich noch an ihre erste Teilnahme auf der Art Basel, der Schweizer Kunstmesse, auf der Künstlerkarrieren gemacht werden. "Um Kosten zu sparen, haben meine Galeristin und ich uns damals das Zimmer geteilt. Aufgebaut haben wir auch alles selbst."
Das ist längst vorbei. Aktuell ist sie in Deutschland in drei Museen mit vielschichtigen Werken zu sehen. Mit Blick auf den tiefgrünen Kochelsee vor bodentiefen Fenstern hat sie mit n-tv im Franz Marc Museum gesprochen. Gerade hat sie hier den Aufbau ihrer Ausstellung "Karin Kneffel. Im Blick" begleitet. In den ausgestellten Bildern schichtet sie raffiniert Wahrnehmungs- und Zeitebenen. Seit 2009 arbeitet Kneffel an einer Bilderserie, in der sie Räume aus zwei Krefelder Fabrikantenvillen und die Kunst darin abbildet. Die beiden ikonischen Bauten, "Haus Lange" und "Haus Esters", hat der Architekt Mies van der Rohe in den späten 1920er Jahren geschaffen. Die Häuser sind heute selbst Museen.
Rechts hängt "Der heilige Droschkenkutscher" von Marc Chagall. In Karin Kneffels Bild hängt er einfach anders herum.
Kneffel trennt die Betrachter dieser Bildwelten durch gemalte Scheiben. Die sind beschlagen oder voller Regentropfen. In ihnen spiegelt sich die Umgebung, allerdings auf den Kopf gestellt. Der Blick in die Villa hat etwas Voyeuristisches, wirkt verboten, zumal diese vermeintliche Scheibe davor Distanz schafft. So vermischt die Künstlerin Realität und Fiktion, das Damals und das Heute, schafft surreale Bilder. Im Franz Marc Museum gesellen sich zu Kneffels Kunstwerken die darin gemalten Originale, wie beispielsweise "Der heilige Droschkenkutscher" von Marc Chagall. Tatsächlich hängt er andersrum an der Museumswand als in ihrem Bild - Freiheit der Kunst auf den Punkt gebracht.
Karin Kneffel passt in keine Schublade. Ihre Malereien sind gegenständlich, wirken hyperrealistisch und sind es trotzdem nicht. Tiere wie Kühe, Schafe oder Hühner schrumpft sie auf ein serviettengroßes Format. Früchte bläht sie hingegen riesig auf. Sie werden metergroß, finden kaum Platz an der Wand: ihre Pfirsiche, Trauben oder Äpfel sind Verführung pur und wollen sofort gegessen werden. "Das, was Sie sehen, ist mein Blick auf die Welt. Ich will keine realen Momente abbilden, dennoch soll alles im Bild plausibel sein und als Bildwirklichkeit funktionieren", sagt sie bestimmt. Die Kneffel'schen Gedankengebäude sind voller fantastischer Spiegelungen, üppiger Ornamente, magischer Lichtreflexe und starker Zitate. Lassen immer Raum für eigene Interpretation. Manchen Kritikern ist ihre Malerei zu gefällig und banal. Sammler und Museumsbesucher sind zumeist fasziniert von der Frage: "Was sehe ich denn da?" Und genau das will sie - dass über ihr Bild länger als nur ein paar Sekunden nachgedacht wird.
Vor ihrem Kunststudium hatte sie zunächst Germanistik und Philosophie in Münster studiert. "Eigentlich komme ich aus einem kunstfernen Haus, mein Vater war Fußballspieler, meine Mutter Köchin." Kneffel ist in Marl geboren und aufgewachsen; dass man Kunst studieren kann, war ihr zunächst nicht klar. In der Düsseldorfer Meisterklasse von Gerhard Richter entschied sie sich, mit Ölfarbe und Pinsel zu arbeiten. Das war in den 1980er Jahren, sinnliche Malerei war damals ziemlich out.
Als Meisterschülerin von Gerhard Richter interpretiert sie dessen berühmten Kerzenbilder neu.
Sie hat sich dennoch durchgesetzt, ist inzwischen selbst Professorin an der Münchner Akademie der Künste und regelmäßig bei ihren Studenten. Was gibt sie denen mit auf ihren Weg? "Mein Vater hat, als ich erzählte, dass ich Kunst studieren möchte, sehr geschluckt. Dann aber, und das fand ich wirklich großartig, gesagt, dass ich nur ein Leben habe und es in jedem Fall versuchen soll. Das Leben als Künstler ist nicht immer einfach, man ist mit seiner Arbeit streckenweise sehr einsam und muss sich jeden Tag aufs Neue motivieren. Inzwischen sehe ich es wie mein Vater: man sollte versuchen, sich seinen Traum zu erfüllen. Wenn es nicht klappt, gibt es immer einen Ausweg."
Geduld muss eine ihrer Stärken sein, denn egal, welches Bilderformat sie wählt, es folgt ein langwieriger Malprozess. Wie läuft also so ein Arbeitstag in Düsseldorf, wo sie lebt und arbeitet? "Ich bin zwar früh wach, mache mich aber erst Stunden später ans Malen. Vorher lese ich, telefoniere, erledige Mails und alles, was so an Büroarbeit im täglichen Leben anfällt. Mittags gehe ich dann runter ins Atelier, das sich in unserem Wohnhaus befindet. Meine Bilder sind meistens sehr groß und haben oft einheitliche Flächen, da muss ich schon mal bis zu 15 Stunden dranbleiben." Warum? "Man würde sonst eine Nahtstelle sehen, nur weil ich ins Bett gegangen bin", lacht sie. Die großformatigen oder kleinen, rohen Leinwände werden bis zu sieben Mal grundiert, damit sie später die Farbe nur schwach aufsaugen. So kann sie mit ihren sehr feinen Pinseln hauchdünn bis zu vier Schichten ihrer Ideen umsetzen. Immer wieder muss sie auf Distanz zu dem gerade Gemalten gehen, überprüfen, ob die Proportionen stimmen. Daher legt sie im Atelier täglich etliche Kilometer zurück.
"Ich zeichne mit Kohle vor. Viele Leute sind irritiert, wie grob das aussieht und wie schnell die Skizzen entstehen. Innerhalb eines Tages bin ich damit fertig. Wenn ich bestimmte Räume abbilden will, projiziere ich Fotos davon auf die Leinwand, damit sie im Bild der Realität entsprechen und wiedererkennbar sind." Erst dann arbeitet sie sich mit Präzision und unglaublicher Genauigkeit von sachlichen Hintergründen hin zu schillernden Wassertropfen im Vordergrund. So entstehen pro Jahr bis zu 20 Bilder. Derzeit malt sie an einer neuen Serie. "Da kommen sogar auf eine besondere Art Porträts rein. Das habe ich bisher noch nicht gemacht, ich will dieses Persönliche nicht", ergänzt sie. Lediglich ihre kleinen Tierbilder waren bislang eine Form von Charaktermalerei. "Die Tiere waren gut geeignet, sie sind mir fremd und erheben keinen Einspruch. Das, was ich jetzt male, entsteht für eine Ausstellung in Rom. Mehr kann ich nicht verraten. Im Oktober wissen Sie dann mehr." Bis dahin ziehen ihre geheimnisvollen Bild- und Denkwelten Neugierige quer durch Deutschland in den Bann.
"Im Augenblick" bis zum 28. August im Max Ernst Museum, Brühl
"Karin Kneffel. Im Bild" bis zum 3. Oktober zum Franz Marc Museum, Kochel am See
Karin Kneffel - Präsentation in der Sammlung bis zum 22. Oktober Staatsgalerie Stuttgart